Halefs Zeitraffer

Wenn die Ducks über den Hauptmarkt watscheln: Das sind die Geheimnisse der Comic-Stadt Nürnberg

3.5.2024, 12:38 Uhr
Szene aus dem Donald-Duck-Heft "Das Geheimnis von El Dorado": Zeichner Don Rosa ließ die Familie Duck (Tick, Trick und Track, Donald Duck und Dagobert Duck) 1998 über den Hauptmarkt in Nürnberg laufen. Die Abenteuer zum aktuellen 90. Jubiläum von Donald Duck erscheinen bei Egmont Ehapa Media.

© ©2024 Disney/Egmont Ehapa Media Szene aus dem Donald-Duck-Heft "Das Geheimnis von El Dorado": Zeichner Don Rosa ließ die Familie Duck (Tick, Trick und Track, Donald Duck und Dagobert Duck) 1998 über den Hauptmarkt in Nürnberg laufen. Die Abenteuer zum aktuellen 90. Jubiläum von Donald Duck erscheinen bei Egmont Ehapa Media.

Im November 1970 wurde in der Kunsthalle Nürnberg eine ungewöhnliche Ausstellung eröffnet. Auf dem Cover ihres schmalen Katalogs tummelten sich gezeichnete Heldenfiguren: Super-Heroes aus dem amerikanischen Marvel Verlag. Der Titel der Schau: "Comic Strips – Geschichte, Struktur, Wirkung und Verbreitung der Bildergeschichte". Da gingen sofort Diskussionen los: Strichmännchen an einem Ort der hehren Künste! Die waren wenige Jahre zuvor noch als Schmutz und Schund diffamiert und sogar auf Schulhöfen verbrannt worden. "Jugendverderbnis!", hatte es geheißen. Und nun in Nürnberg eine öffentliche Würdigung als Kunstform. Konnte das angehen?

Es war schwierig. Auch wenn die meisten Nürnberger vergessen hatten, dass der schlechte Ruf der Comics einem Sohn ihrer Stadt zuzuschreiben war, teilten sie ihn doch gedankenlos. Der Mann hieß Friedrich Ignatz Wertheimer und wurde am 20. März 1895 in Nürnberg geboren. Er studierte Medizin und wanderte 1922 in die USA aus. Dort gründete er eine psychiatrische Klinik für verwahrloste Jugendliche.

"Verführung der Unschuldigen"

Eine Ursache der Verwahrlosung sah Wertheimer (inzwischen zu Wertham anglisiert) in der Lektüre von Comics. 1954 veröffentliche er ein Buch mit dem Titel "Verführung der Unschuldigen". Danach galten Comic Strips bis eben zu Beginn der 1970er Jahre als Seuche für die junge Seele.

Das war kein guter Einstieg für Nürnberg als Comic-Stadt. Aber gibt es die denn überhaupt? Denkt man bei "sequentieller Kunst" (so nennt man die Bildergeschichten in Fach- und Fan-Kreisen schon lange) nicht eher an den Nachbarort Erlangen? Dort wurde 1984 mit der Enthüllung eines Standbilds der Disney-Ente Donald Duck der erste Internationale Comic Salon eröffnet. Seitdem gilt das markgräfliche Pflaster als Mekka für die Comic-Branche.

Und das Festival verteidigt bis heute seinen Ruf als wichtigste Veranstaltung für diese Erzählform in Deutschland.

Doch Nürnberg hat so seine kleinen Geheimnisse, was Comics betrifft. Nehmen wir das Jahr 1984. Da ist eben nicht nur der Salon entstanden. Da zog ein Verlag nach Nürnberg, der Pionierarbeit dafür leistete, dass Bildergeschichten ein ernsthaftes Erzähl- und Kunst-Medium wurden. Achim Schnurrer war als einer der Initiatoren sowohl an den Erlanger Aktivitäten beteiligt, wie er auch fast gleichzeitig in Nürnberg ein ziemlich marodes Publikations-Unternehmen rettete. Schnurrer kam aus dem Bergischen Land, hatte sich in Köln erste Sporen als Kurator einer Ausstellung über die Vorfahren der Comics verdient und war seiner Freundin nach Franken gefolgt.

Zur Kunst erhoben

In Franken, in einem Dorf namens Linden, rumorte schon lange die Comic-Revolte. Der Land-Kommunarde Raymond Martin gab dort unter dem Label "Volksverlag" schamlose "U(ntergrund)-Comix" heraus. Später erweiterte er sein Programm durch deutsche Übersetzungen aus den französischen Avantgarde-Magazinen "Schwermetall" und "Pilot". Doch Martin war kein Geschäftsmann. Er wirtschaftete sein Imperium herunter – bis es 1984 von Achim Schnurrer übernommen wurde.

Die Familie Duck beim Bratwurstglöcklein in Nürnberg: Zeichner Don Rosa hat dort offenbar mit Appetit gespeist. In der jüngsten Version ist aus dem "Glöckla" ein namenloser "Biergarten" geworden.

Die Familie Duck beim Bratwurstglöcklein in Nürnberg: Zeichner Don Rosa hat dort offenbar mit Appetit gespeist. In der jüngsten Version ist aus dem "Glöckla" ein namenloser "Biergarten" geworden. © ©2024 Disney/Egmont Ehapa Media

Der "Volksverlag" wurde in "Alpha" umgetauft. Neuer Standort wurde der Stadtteil Thon. "Schwermetall" hatte nun bundesweit Erfolg. Dazu kamen Alben für erwachsenes Publikum in einer "Edition Kunst der Comics". Erst 1999 geriet das Unternehmen in kommerzielle und juristische Turbulenzen. Doch tatsächlich gehört Nürnberg zu den Orten, an denen die Comics zur Kunst geworden sind.

Achim Schnurrer lebt inzwischen in Fürth. Gerade bereitet er im Künstlerhaus eine Ausstellung zur Geschichte des Magazins "Schwermetall" vor. Da werden aufregende und umstrittene Bilder an den Wänden hängen. Eröffnung ist am 24. Mai. Und der Verfasser dieses Zeitraffers darf ein paar einführende Worte sagen. Denn er hat all die Evolution des Comic-Zentrums Franken als Leser und Journalist mit heftigen Emotionen begleitet.

Gold-Jagd vor der Frauenkirche

Zu einer Comic-Stadt gehört selbstverständlich, dass sie in Comics eine Rolle spielt als Schauplatz für gezeichnete Geschichten. Nürnberg muss sich da nicht verstecken, selbst wenn Paris oder New York die prominenteren Kulissen bieten. Einmal waren sogar ganz berühmte Comic-Figuren in der Noris zu Gast. Die Familie Duck (Donald, Dagobert, Tick, Trick und Track) watschelte über den Hauptmarkt. In der Geschichte "Das Geheimnis von El Dorado" hat Don Rosa, der bedeutendste Donald-Zeichner neben Duck-Schöpfer Carl Barks, 1998 die Enten auf Gold-Jagd vor die Frauenkirche geschickt. Rosa war immer wieder zum Erlanger Salon geladen und hat auf der Suche nach authentischen Orten für seine Geschichten Nürnberg ein paar Mal besucht.

In der Erstübersetzung von "Das Geheimnis von El Dorado" kehren die Ducks im "Bratwurstglöckla" ein und verzehren Unmengen von Brezen. In der jüngsten Version ist aus dem "Glöckla" ein namenloser "Biergarten" geworden. Ein Biergarten mit dem Interieur vom "Bratwursthäusla". Dort hat Rosa offenbar mit Appetit gespeist.

Noch eine Szene aus "Das Geheimnis von El Dorado". Hier speist die Familie Duck im Bratwurstglöcklein in Nürnberg.

Noch eine Szene aus "Das Geheimnis von El Dorado". Hier speist die Familie Duck im Bratwurstglöcklein in Nürnberg. © ©2024 Disney/Egmont Ehapa Media

Sucht man weiter nach Nürnbergs Auftritten in den grafischen Novellen, muss man nach Geschichten über Epochen Ausschau halten, mit denen die Stadt gemeinhin verbunden wird. Das ist einmal die Renaissance und zum anderen das Dritte Reich. Die Renaissance (leicht mit dem Mittelalter verwechselt) lässt sich ikonografisch gern auf Kaiserburg und Ritterrüstung komprimieren. Dann sieht Nürnberg so aus wie die Welt von Hansrudi Wäschers Helden Sigurd oder Falk. Wäscher war der erfolgreichste deutsche Comic-Künstler der 1950er Jahre.

Beckstein und Maly als Karikaturen

In seinem Stil ist vor ein paar Jahren eine etwas seltsam lokalpatriotische Comic-Serie von Michael Kreiner mit dem Titel "Zimbus von Döllnitz" erschienen. In dem Heftchen "Die Herren von Nürnberg" spielt die mittelalterliche Stadt samt Burgkulisse mit. Mehr noch: Fränkische Politiker wie Günther Beckstein und Ulrich Maly haben ihre Auftritte als Karikaturen. Besser wird die Story dadurch nicht. Immerhin hatte sie eine eigene Biersorte – längst ausgeschenkt – hervorgebracht.

Unter demselben Titel "Die Herren von Nürnberg" wurde lange zuvor ein Comic-Album mit vielen erstaunlich präzisen Stadtansichten veröffentlicht. Der Franzose Gilles Chaillet hat seinen Helden Vasco, einen jungen Bankier aus Siena, für eine Episode im 14. Jahrhundert nach Nürnberg geschickt. Es geht um Morde und Intrigen, und die Patrizier kommen als verlogener Haufen nicht gut weg.

Albrecht Dürer war nicht unter der Clique. Aber er hat es auch zur Comic-Figur gebracht. Kein Wunder, denn seine Holzschnitt-Folgen über die Passion oder die Apokalypse können bei gutem Willen unter die Ahnen der Comic Strips gezählt werden. Der Meister tritt in manchem Album auf. Im "Kunst-Comic" von Mona Horncastle und Barbara Yelin dürfte sich der nicht eitelfreie Selbstporträtist wohl am ersten wiedererkennen.

Von Riefenstahl beeinflusst

Dass die Nazis Nürnberg zur Bühne ihrer Reichsparteitage inszeniert haben, wird die Stadt auch in ihrer Comic-Präsens nicht los. Es gibt eine ganze Reihe gezeichneter Geschichten, die vor diesem Hintergrund spielen. Die interessanteste ist wahrscheinlich der große grafische Roman "Adolf" von Osamu Tezuka, dem Urvater der japanischen Mangas. Es geht um mehrere Personen mit dem verhängnisvollen Vornamen. Und Tezukas Nürnberg-Bilder wurden sichtlich von den Reichsparteitagsfilmen der Leni Riefenstahl beeinflusst.

Mit den Kriegsverbrecherprozessen wurde schließlich die juristische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Nürnberg vollzogen. Auch diese Episode der Stadtgeschichte ist in einem Comic illustriert. In dem Band "Die zerbrochene Zeit" der französischen Künstler Eric Warnauts und Guy Raives irrt eine junge Frau durch Nachkriegsdeutschland und macht Station in der Noris der Prozess-Zeit.

Es ist offensichtlich: Nürnberg ist eine Comic-Stadt. Wer nach weiteren Indizien sucht, findet sie in den Geburtsurkunden von Manga-Zeichnerinnen wie Eva Schmitt und Janine Winter. Und von ihren männlichen Comic-Kollegen Matthias Schultheiß (einem der Pioniere aus den 1980er Jahren), Jonas Scharf (der aktuell den mächtigen amerikanischen Marvel-Markt bedient) sowie - mit einer Träne schreib‘ ich seinen Namen - dem viel zu früh verstorbenen Gerd Bauer, dem witzigen Franken-Anarchisten mit der sanften Seele.

Für sie alle steht mitten in der City, in der Sterngasse, der Tempel bereit: Ultra Comix, die Fach-Buchhandlung von Stefan und Ulli Trautner, eine der bedeutendsten in der ganzen Bundesrepublik. Wozu also nach Entenhausen reisen?

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